„So wie die Industriezivilisation auf Kosten der Natur florierte und uns heute die Erde zu kosten droht, wird eine vom Überwachungskapitalismus und seiner instrumentären Macht geprägte Informationszivilisation auf Kosten der menschlichen Natur florieren, womit sie uns unser Menschsein zu kosten droht.“
Prof. Dr. Shoshana Zuboff, amerikanische Ökonomin
Früher sprach man fast schon ehrfürchtig vom „schwarzen Gold“ – gemeint war damit das Erdöl als Triebfeder für einen fundamentalen Strukturwandel in den Industrieländern. Dieser Strukturwandel war schnell, radikal und hat unser Leben dramatisch verändert. Alles begann letztlich 1859. In diesem Jahr wurde in Titusville, Pennsylvania, eine ergiebige Ölquelle gefunden und man erlebte dort den ersten Ölboom der Geschichte. Nicht umsonst wird die Stadt als Geburtsort des Erdölzeitalters angesehen. Das Öl kam genau zur rechten Zeit. Der Amerikanische Bürgerkrieg ging 1865 zu Ende und nun nahm die Industrialisierung richtig an Fahrt auf. Der Boom wirkte sich auf die ganze westliche Welt aus, welche die Folgen der Französischen Revolution langsam überwunden hatte und die neue Weltordnung des industriellen Zeitalters annahm.
Mit dem Rückenwind der Einwanderungswellen aus Europa und der Erschließung des Westens entstand ein riesiger Markt. Dann trat auch noch John D. Rockefeller auf den Plan. Seine Familie stammte ursprünglich aus Rockenfeld, einer Wüstung im Neuwieder Stadtteil Feldkirchen in Rheinland-Pfalz; sie wanderte nach Amerika aus und ließ sich in Germantown, Pennsylvania nieder. John D. Rockefeller stieg in den Ölhandel ein und wurde mit seiner Standard Oil Company, dem ersten multinationalen Konzern, zum ersten Milliardär der Weltgeschichte und galt als der reichste Mensch der Neuzeit. Heute heißen die reichsten Menschen der Welt Jeff Bezos, Bill Gates, Mark Zuckerberg und Konsorten; sie handeln nicht mehr mit Öl, sondern letztlich mit Daten, nämlich mit unseren intimsten persönlichen Daten. Kein Wunder, wenn man von diesen Daten heute als dem neuen „schwarzen Gold“ spricht. Rockefellers Standard Oil Company war einst so mächtig, dass es zur ersten Anti-Monopol-Gesetzgebung der USA kam und Standard Oil zerschlagen wurde. Geschichte wiederholt sich. Zumindest wird die Kritik an beispielsweise Jeff Bezos´ Amazon oder an Mark Zuckerbergs Facebook immer lauter. Nicht umsonst fordert Tesla-Chef Elon Musk die Zerschlagung des weltgrößten Onlinehändlers Amazon. Unter seinem Twitter-Account schreibt Musk: „Es ist an der Zeit, Amazon aufzuspalten. Monopole sind unrecht!“. Einzelne Tech-Konzerne sind inzwischen größer als ganze Volkswirtschaften. Beispielsweise bringen die Börsenwerte von Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft zusammen mehr auf die Waage als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Deutschland im Vergleich, also mehr als hierzulande in einem Jahr an Gütern und Dienstleistungen produziert wird.
Es geht aber nicht um die schiere Macht von Wirtschaftsmagnaten. Ob ein Jeff Bezos nun ein Buch aus seinem Amazon-Sortiment verbannt, weil es ihm persönlich nicht gefällt oder ob er mit seiner „Washington Post“, die er sich 2013 für 250 Millionen US-Dollar einfach mal so gekauft hat, zur vermeintlich gewichtigen Stimme in gesellschaftlichen und politischen Debatten wird, ist nicht die eigentliche Gefahr.
Es geht vielmehr um den Kern des abendländischen Erbes, um das humanistische Menschenbild, um unser Recht auf Freiheit, dass wir unser Leben und alle Entscheidungen, die dieses Leben beeinflussen, selbst bestimmen können. Die eigentliche Gefahr ist, dass wir diese Errungenschaft verlieren. Wir finden uns momentan mit der digitalen Revolution konfrontiert, über deren Beginn, Verlauf und Ende wir uns noch nicht einmal einig sind. Unsere innere Freiheit wird mehr denn je in unserer – vor allem digitalisierten – Welt benötigt. Es gibt keinen Bereich des Lebens mehr, der nicht mit dem Internet verbunden ist. Es wird alles archiviert und nichts vergessen. Dadurch ist aber auch vielleicht nichts mehr wirklich von Wert – zumindest könnte man das zynisch anmerken. Die Digitalisierung der Persönlichkeit als Konsumware ist längst Realität geworden. Wichtig ist, sich dabei nicht selbst zu konsumieren, indem man sich auf der Suche nach sich selbst buchstäblich aus den Augen verliert. Was bleibt am Ende von der Würde des Menschen übrig zwischen Digitalisierung und Posthumanismus?
Jeder Mensch ist einzigartig, mit Rechten, Pflichten und Privilegien versehen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Herkunft. Das ist auch die Basis unseres Selbstverständnisses und letztlich dessen, was insbesondere die Kultur und Identität Europas ausmacht und im europäischen kulturellen Gedächtnis fest verankert ist.
Der zentrale Schlüsseltext für das Humanismus-Verständnis stammt von dem Renaissance-Philosophen Giovanni Pico della Mirandola. Es war eine Rede unter der Überschrift „De hominis dignitate“ („Über die Würde des Menschen“), die er 1486 verfasste und in der er die Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner Stellung in der Welt stellte und die Willensfreiheit als charakteristisches Merkmal des Menschen hervorhob. Jede Generation muss sich damit auseinandersetzen und unter ihren Vorzeichen damit umgehen.