Freimaurerische Quellenforschung arbeitet mit historischen Tatsachen, im Gegensatz zur Literaturforschung. Letztere beschränkt sich naturgemäß oft darauf, vorangegangene Schriften auszuwerten, wobei die große Gefahr besteht, Legenden und Fehlinformationen mitzuschleppen und als allgemeines und richtiges Wissensgut zu behandeln. Dass das in der Freimaurerei im Laufe der Jahrhunderte leider viel zu oft passiert ist, wissen wir mittlerweile. So wird auch der Gründungsmythos der Freimaurerei von 1717 verständlicher. Mit Beginn vor rund 30 Jahren schreitet die Quellenforschung international nun aber durch Öffnung der meisten Logenarchive und durch Recherchen in sonstigen Archiven sowie akribische Einsichtnahmen in Mitgliederlisten, Protokollen etc. voran – in Deutschland wesentlich durch die Freimaurerische Forschungsvereinigung FREDERIK. Deren Vorsitzender Klaus Bettag (Bild) hat im Rahmen der Heidelberger Gespräche im März 2018 über den aktuellen Stand berichtet und dabei geholfen, unser Geschichtsverständnis der Freimaurerei neu zu ordnen.
Die „moderne“ Freimaurerei feierte 2017 ihr 300. Jubiläum. Doch schon seit längerem ist klar, dass weder das behauptete Gründungsjahr noch der damit verbundene Mythos einer seriösen primärwissenschaftlichen Betrachtung Stand halten. So haben kürzlich die Historiker Susan Mitchell Sommers, Saint Vincent College Pennsylvania und Andrew Prescott, University of Glasgow, mehrere Arbeiten publiziert, die die Autorität der offiziellen Freimaurerchronik infrage stellen. Beide Wissenschaftler gehören zu den international renommiertesten Freimaurerforschern, ohne selbst Freimaurer zu sein. Je intensiver sie sich mit der Chronik und den „Constitutions“ des Reverend James Anderson von 1738 beschäftigten, desto stärker wurde ihr Verdacht, dass die Freimaurer im alten England die eigene Chronik manipuliert haben.