Es ist eine der merkwürdigsten Denkweisen von uns Menschen, menschliche Intelligenz als Maßstab auf andere Konstrukte und Wesen anzuwenden, die gar nicht menschlich sind.
»Alexa[1] , erschaffe mir einen Dämon, den ich zu Gott und der Welt befragen kann.« So einfach hatte es der universalgebildete Dr. Faust in dem Werk von Goethe dann doch nicht. Faust sitzt in seinem Arbeitszimmer und will die Welt als Ganzes ergründen. Dabei beschwört er mit dunkler Magie einen Erdgeist, der schließlich mehr wissen müsste als Faust. Er will ihn gefangen halten und in die Mangel nehmen. Doch dieser hat die Rechnung ohne den Geist und das Wesen der Natur gemacht: Der Erdgeist macht sich über Faust lustig. »Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir« und lässt den Gelehrten wieder allein. Was war geschehen? Faust wollte etwas von einem Wesen erfahren, das er zwar beruft, aber nicht versteht. Die Natur hatte ihm ein Schnippchen geschlagen und ihm klar gemacht: Den Geist der Natur konnte er nicht mit der Intelligenz des Menschen vergleichen oder gar einfangen. Eigentlich wollte Faust den Prototypen einer künstlichen, einer »anderen« Intelligenz herbeibeschwören. Dumm nur: Er hatte keine Ahnung, um welche Intelligenz es sich dabei eigentlich handelte.
Faust ist frustriert und denkt an Selbstmord: Er verzweifelt – verständlicherweise – an der Juristerei, der Philosophie und der Wissenschaft, die ihn alle nicht weitergebracht haben. Die letzte Grenze will er durchstoßen, um herauszufinden: Was ist der Sinn des Lebens, was macht den Menschen aus? Was ihn rettet, ist das Kirchenläuten: »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.« Und doch lässt er vom Gift, das er trinken wollte, ab.
Johann Wolfgang von Goethe gilt nach Martin Luther als der wirkungsmächtigste deutschsprachige Autor aller Zeiten. Seine Werke haben Einfluss auf die gesamte westliche Kultur. Goethe: Philosoph, Dichter, Gelehrter, Naturforscher, Jurist, Minister, Freimaurer, Illuminat. Er war eine der schillerndsten Figuren der Aufklärung. Mit seinen Gedanken und Ideen über das Leben und das Menschsein hat er revolutionäre und progressive Gedanken zu Papier gebracht. Am Faust hat er sein Leben lang gearbeitet, und viele andere Werke sind eingeflossen. Die Unterwerfung der Natur unter den menschlichen Willen war stets Thema seiner Arbeiten und kritischen Überlegungen. Und: Er befasste sich mit der Idee, was geschehen würde, wenn der Mensch eine künstliche Intelligenz erschaffen könnte. Und das, obwohl er nicht einmal wissen konnte, was Elektronik eigentlich ist und was man mit einem Computer alles Sinnvolles oder Sinnloses anstellen kann. Seine Idee war die einer künstlichen biologischen Intelligenz. Die Folge aber ist die gleiche: Der Mensch erkennt in einer anderen Intelligenz lediglich sich selbst. Die Gegenseite ist nicht das, was der Mensch erwartet hat.
»Deep Thought«, das ist der Supercomputer, der im Roman Per Anhalter durch die Galaxis die Erde selbst entwirft. Jahrtausende hatte er an der Antwort auf die Frage nach dem Leben und allem anderen ziemlich herumgekaut. Mit der Antwort »42« gab man sich nicht so recht zufrieden, sodass ein leistungsstärkerer Computer her musste: die Erde, ein Computer, der diese ungenau gestellte Frage an sich verstehen konnte. Ein Thema, das in unzähligen Romanen und Geschichten auftaucht. Künstlich geschaffene Intelligenz, computerbasiert, die unsere Fähigkeiten überflügelt und uns das Leben leichter oder zur Hölle macht, je nachdem, wie gut programmiert wurde.
Es ist eine der merkwürdigsten Denkweisen von uns Menschen, menschliche Intelligenz als Maßstab auf andere Konstrukte und Wesen anzuwenden, die gar nicht menschlich sind.
[1] oder neuerdings: „ChatGPT“