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Die Heidelberger Gespräche Gesellschaft möchte Menschen dazu anregen, neu zu denken und mehr Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.
Seit der Aufklärung haben wir gelernt das Leben und die Rechte des individuellen Menschen in gewisser Weise über alles zu stellen. Dabei haben wir ein Stück weit vergessen, dass der individuelle Mensch nur existieren kann, so lange die Menschheit existiert. Und das ist inzwischen, anders als im achtzehnten Jahrhundert, nicht mehr selbstverständlich.
Um in dieser Situation unseren Weg zu finden ist es wichtig, unser philosophisches und kulturelles Erbe zu kennen, denn „nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“ (Wilhelm von Humboldt).
Abb. 1: Der literarische Salon von Madame Geoffrin, 1755.
Ständige Orte des geselligen Beisammenseins von Gelehrten und Gebildeten, des Gedankenaustauschs und engagierter Dispute im Zeichen aufklärerischen Denkens waren die zumeist von Frauen unterhaltenen Salons mit berühmten Beispielen in Paris und Berlin.
„Es ist immer die Frage, wie sich Gesellschaften erinnern, und vor allem, wie Gesellschaften, indem sie sich erinnern, ein Bild davon entwerfen, wer sie sind und sein wollen.“ Laut dem Kulturwissenschaftler Jan Assmann ist das Besondere des europäischen kulturellen Gedächtnisses seine Zweistöckigkeit.
Unser kulturelles Gedächtnis geht maßgeblich zurück zu den Griechen und zur Bibel.
Die Heidelberger Gespräche Gesellschaft steht für einen Humanismus der Einheit, der sich auf das gründet, was allen Menschen gemeinsam ist – so verschieden Menschen im Übrigen als Angehörige partikularer Religionen, Nationen und Kulturen auch sein mögen.
Abb. 2: Platons Akademie, Mosaikfußboden in Pompeji, 1. Jahrhundert n. Chr.
Platon begann philosophisch-wissenschaftlichen Unterricht zu erteilen und regte seine Schüler zu Forschungen an. So entstand die Akademie, die erste Philosophenschule Griechenlands. Einen Anstoß dazu gab wohl das Vorbild der Pythagoreergemeinschaft in Italien.
Bezogen auf die Griechen kann man von der platonischen Idee des Menschen sprechen und biblisch lässt sich das mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen ausdrücken.
Damit ist auf einer gewissen Abstraktionsstufe ein Begriff geprägt, der menschliches Handeln und Ordnung miteinander verknüpft und damit Recht, Moral, Staat und Weltbild auf eine gemeinsame Grundlage stellt. Humanismus als In- und Oberbegriff aller Normen, Verpflichtungen und Axiome, die das menschliche Leben in den sozialen und politischen Ordnungen des Zusammenlebens steuern, deckt sich mit dem, was auch humanistisch abendländische Kultur genannt werden könnte.
Als einen wesentlichen Entwicklungsschritt und Höhepunkt unserer abendländischen Kultur bzw. europäischen Geistesgeschichte und des sich daraus entwickelnden Humanismus erkennen wir immer noch die Zeit der Renaissance und der Aufklärung an. Sie leitet letztlich die Geburt der Revolutionen für mehr Freiheit und Menschenrechte ein.
Aber was ist heute? Es scheint als hätten wir den Faden verloren. Wen man auch fragt, alle sind irgendwie auf der Suche nach einem existenziellen Sinn, verbunden mit großer Sorge um die Zukunft; insbesondere wird dabei die stillschweigende Hinnahme eines unbegrenzten Wachstums physischer Dinge auf einem physisch begrenzten Planeten auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit und auf Kosten einer intakten Umwelt immer unerträglicher.
Wir müssen das sprichwörtlich „rechte Maß“ finden. Können wir den Faden wieder aufnehmen?
Abb. 3: Die menschlichen Proportionen nach Vitruv in einer Skizze von Leonardo da Vinci.
Alle Humanisten waren der Überzeugung, dass das Schöne mit dem Wertvollen, dem moralisch Richtigen und dem Wahren Hand in Hand gehe. Dieser Grundsatz beschränkte sich nicht auf Sprache und Litera-tur, er wurde auf sämtliche Bereiche des schöpferischen Schaffens und der Lebensführung angewendet.
Die Zeit scheint reif. Wie wäre es mit einer zweiten Aufklärung, mit einer Weiterentwicklung und mit einer Perspektivenerweiterung? Und wie könnte diese aussehen? Wollen wir die Welt verändern, müssen wir mit uns beginnen. Wir müssen lernen – und das passiert nicht von allein.
Die geistige Heimat Europas speist sich vor allem aus der hellenistisch-römischen Antike, den humanistischen Ideen des Christentums und letztlich der Aufklärung. Auf diese Weise wurden die Demokratie, die Menschenrechte und die Wissenschaft hervorgebracht.
Dies macht den Kern abendländischer bzw. europäischer Identität aus. Wir sollten vom Vermächtnis der antiken, christlichen und aufgeklärten Tradition sprechen.
Die erste (demokratische) Tugend dabei ist Verantwortung; Verantwortung für sich selbst, für die unmittelbare Umgebung, aber auch Verantwortung für die eigene Stadt oder Gemeinde, für das eigene Land und die eigene Gesellschaft.
Hierbei kommt manchem Betrachter das religiös orientierte Motto „Bewahrung der Schöpfung“ in den Sinn. Das Wort Bewahrung erinnert an die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, während der Begriff Schöpfung neben seinem metaphysischen Inhalt auch den Gedanken einer gemeinsamen, christlich geprägten Welt der Menschheit und aller Lebewesen ausdrückt. Der Mensch als Teil der Natur ist verantwortlich für ihren Erhalt – das Verstehen, Schützen und Regenerieren der Ökosysteme und der Biodiversität ist Basis für das Wohlergehen und das Überleben des Menschen und anderer Lebewesen.
Abb. 4: Erschaffung Adams, Fresko von Michelangelo, Ausschnitt des Decken-gemäldes der Sixtinischen Kapelle im Vatikan.
Seit dem Renaissance-Humanismus wird bis heute die Gottebenbildlichkeit häufig als theologische Begründung der Menschenwürde betrachtet.
Im sogenannten „Informationszeitalter“ und seinen Auswüchsen bis hin zur Künstlichen Intelligenz werden wir an Informationen so gefesselt, dass sie uns Zeit wegnehmen, wenn wir meinen, alles wissen zu müssen, was uns dargeboten wird.
Es braucht einige Zeit, um sich von solchen Gewohnheiten zu lösen, die zu Zwängen geworden sind, und ferner zu erkennen, dass Informationen nicht dasselbe sind wie heilsames Wissen oder gar Weisheit.
Heute suchen viele Menschen wieder dieses verlorene Verweilen, das zugunsten einer angeblichen „schöpferischen Unruhe“ aufgegeben worden ist. Diese endet, wenn sie nicht weiß, was sie tun soll, im Aktionismus. Da das Getane nicht sinnvoll ist und nur dafür sorgt, in Bewegung zu bleiben, ist es lediglich ein Rennen, ein Davonrennen, ein Rasen.
Es sind viel weniger die Sachzwänge als wir selbst, die uns hetzen, zum Fortschritt zwingen. Fortschritt ist ein verkanntes, aber verräterisches Wort, denn hier wird nicht auf ein Ziel zugeschritten, sondern von etwas – wohl von der Mitte, die der Meditierende wieder sucht – „fort“ geschritten. Die Ambivalenz dieses „Fortschritts“ ist uns trotz aller hilfreichen Erfindungen langsam klar geworden.
Aber die Ursachen, besser der Verlust jener Mitte, jenes Grundes, von dem wir uns dabei entfernen, sind noch lange nicht erkannt – und auch in der Tat schwer zu erkennen, wenn man sie zu Wort bringen will.
Sie liegen auch tief im technisch-naturwissenschaftlichen Denken verborgen, das uns so viel Erfolge auf einer bestimmten Ebene gebracht hat, aber die Welt in einer Weise vergegenständlicht, entseelt und entmenschlicht, dass sie leer und öde wird, nicht nur gott-los („Gott ist tot“), sondern „tote Materie“, eine Summe von „Stoffen und Kräften“, die wir durch Erkenntnis der „Ursachenketten“ nach Belieben berechnen und manipulieren können, so dass sie uns außer Zahlen und Fakten „nichts mehr zu sagen“ haben und die Dichter, die sie einst besangen, vermeintlich im Unwirklichen herumphantasieren, welt- und realitätsfremd sind.
Der Preis für die großartigen Erfolge und all die Macht, die wir heute durch Technik und Naturwissenschaft haben, ist hoch, sehr hoch, jedenfalls solange nicht deren Wesen erkannt wird und damit deren Grenzen gesehen werden, so dass man sie wieder in ein menschlicheres, nicht nur kausales und funktionales Weltverständnis von der „großen Weltmaschine“ einbetten, also nicht leugnen oder „abschaffen“ kann, was nicht geht – wir brauchen sie –, aber im Hegelschen Sinne sollten wir sie „aufheben“, d.h. zugleich überwinden u n d bewahren.
Es ist Zeit für eine zweite Aufklärung.
Herzlich willkommen bei der Heidelberger Gespräche Gesellschaft.
Ralph-Dieter Wilk, Werner H. Heussinger, Heike Görner, Prof. Dr. Jan Snoek
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Quelle/Abbildungen: Gemeinfrei, Wikipedia