Heidelberger Gespräche – Auswahl:
Einblicke in Keplers Weltharmonik (März 2015)
Johannes Kepler forschte hauptsächlich zum Prinzip einer universalen Harmonie. Dabei bemerkte er, dass Geometrie dieses Prinzip des Universums sichtbar zeigt. Er benutzte geometrische Verfahren und entwickelte ein Intervallsystem, welches er aus weitergedachter Sicht mit dem alten pythagoreisch-platonischen Denken verband. Demzufolge ist das Grundmuster des Sonnensystems musikalisch, in Form von Tönen und ihren Verhältnissen zu bestimmen und zu verinnerlichen. Anhand dieser Systematik erklärte Kepler das Sonnensystem und dessen innere Funktionalität. Dabei entdeckte er das berühmte dritte Planetengesetz. Heute ist dieser Ansatz wieder gefragt, weil er ausgehend von neuen astronomischen Entdeckungen mit moderner Computertechnik weiter überprüft werden kann. Erstaunlicherweise spielt seine bis vor kurzem noch vernachlässigte Vision bei der aktuellen Erforschung ferner Sonnensysteme wieder mit hinein. Das kosmologische ganzheitliche Weltbild Johannes Keplers hat starke Strahlkraft und wird insbesondere bedeutsam für die Freimaurerei im 18. Jahrhundert. Aber auch in unserem Jahrhundert sagen die Werke Keplers und Robert Fludds, als Vertreter mit unterschiedlichen Ordnungsstrukturen, immer noch Wichtiges über Werte und Qualität des modernen Weltzuganges aus. Denn in ihrer als Fludd-Kepler-Kontroverse in die Wissenschaftsgeschichte eingegangenen Auseinandersetzung erscheint heute deutlicher als damals, wie das einigende Band der älteren Kosmosvorstellung sich auflöst und die europäische Wissenschaft alle magischen Vorstellungen überwindet – ohne sie aufzuheben. Kepler: „Mein höchster Wunsch ist es, den Gott, den ich im Äußern überall finde, auch innerlich, innerhalb meiner, gewahr zu werden.“ Die Referentin Bei Peng (Bild) ist eine in China ausgebildete Pianistin. In Deutschland hat sie Musikwissenschaften und Philosophie studiert. Bei Peng war Doktorandin am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg. Ihr Forschungsschwerpunkt ist der Zusammenhang von Musik und Astronomie in Europa und China, insbesondere am Beispiel von Johannes Kepler und Zhu Zaiyu.
Gottessohnschaft, Geometrie, Rätselbilder und Toleranz bei Nikolaus von Kues (Oktober 2014)
Nikolaus von Kues 1401-1464 (Cusanus) hat sich gegen rationale Gottesbeweise ausgesprochen und stattdessen eine neue Methode eingeführt, die als suprarationales Aufweisen des Göttlichen in der menschlichen Selbstreflexion bezeichnet werden kann. Es ist der Weg von der Ratio zum Intellekt, vom trennenden Verstand zum Ganzen der Vernunft. In deren Leben, der unser Grund im Bewusstsein ist, spiegelt sich das Göttliche im ‚wissenden Nichtwissen‘ (docta ignorantia) des Menschen. Der Grund des menschlichen Bewusstseins ist als ‚Bild Gottes‘ (imago Dei) die ‚Einheit der Gegensätze‘ (coincidentia oppositorum) von Schöpfer und Geschöpf. Der Mensch ist deswegen ein ‚zweiter Gott‘ (secundus deus), weil er dies zu reflektieren vermag. Die Reflexivität des Ewigen in der Vergänglichkeit unseres Daseins zu verwirklichen, bedeutet ‚Gottessohnschaft‘ (filiatio Dei). Cusanus bietet hierfür eine Vielzahl von Denkübungen an, um die Bewusstheit des Intellektes, des Grundes im Bewusstsein – des göttlichen Funkens Meister Eckarts – zu erlangen. Für die Freimauerei sind hierfür die geometrischen Übungen Cusanus‘ sowie sein Verfahren, die Reflexivität des Göttlichen in Rätselbildern (aenigmata) zu verschlüsseln, höchst anregend. Auf dem Wege seiner Symbolwissenschaft vom Göttlichen kommt Cusanus zum Gedanken der Toleranz und der friedlichen Koexistenz der Religionen. Die cusanische Schulung des Intellekts hat praktische Auswirkungen auf eine Lebensführung, die den Idealen der Freimaurerei entspricht.